Amsterdam, WS 2012/13

Amsterdam, Wintersemester 2012/2013

Für mich stand schon im ersten Semester meines Psychologie-Studiums fest, dass ich mindestens ein Semester im Ausland verbringen wollte. Für das Erasmus-Programm entschied ich mich letztlich, weil es die Vorbereitung und Organisation des Auslandsaufenthalts durch die bereits vorgegebenen Strukturen stark vereinfachte. Außerdem erhoffte ich mir dadurch eine Anerkennung meiner ausländischen Studienleistungen, was zwar prinzipiell auch möglich ist, letztlich aber doch problematisch war, aber dazu später mehr.

Im Wintersemester 2012/13 verbrachte ich schließlich ein Semester an der Vrijen Universiteit (VU) Amsterdam; ich hoffe mit diesem Bericht allen zukünftigen Erasmus- Interessierten einen kurzen Überblick über ein solches Auslandssemester und die dazugehörige Vorbereitung geben kann.

Vorbereitung

Nachdem ich in der Vergangenheit schon diverse Male wichtige Bewerbungsfristen verpasst hatte, war ich diesmal enorm früh dran: schon im ersten Semester begann ich mit der Planung eines Auslandssemesters. Das zwar zweifelsohne sehr früh, aber ich kann jedem nur empfehlen lieber ein paar Wochen zu früh als einen Tag zu spät damit anzufangen. Die erste Frage war natürlich welches Semester: Generell empfiehlt sich ein Auslandsaufenthalt im Heidelberger Psychologie-Studienplan erst nach dem dritten Semester nachdem in fast allen Grundlagenfächern zumindest die erste Vorlesung gehalten wurde. Aus privaten Gründen kam das vierte Semester für mich nicht in Frage, so dass ich mich auf das fünfte festlegte. Die Wahl der Uni wurde bei mir durch Sprachkenntnisse, thematisches Interesse und natürlich die Stadt bestimmt: Da ich nur Englisch auf einem Niveau beherrsche, das es mir erlaubt einer Vorlesung zu folgen, wurde die Auswahl ganz schnell auf englischsprachige Unis beschränkt, also England, Irland und eben Amsterdam, wo es ein großes Angebot an englischsprachigen Kursen gibt. Mein fachliches Interesse in dem Bereich Neuropsychologie, bzw. kognitive Neurowissenschaften ließ die Unis in England und Irland ausscheiden und sprach ebenfalls für die VU, die in diesem Bereich sehr stark ist. Und nicht zuletzt war natürlich Amsterdam als Stadt, die ich noch nie vorher besucht hatte, sehr reizvoll. Dank der Unterstützung der Erasmus-Koordinatorin am Psychologischen Institut konnte ich schon bald mit ihrem Kollegen in Amsterdam in Kontakt treten und bekam alle nur erdenklichen Fragen zum Thema Kurswahl, Wohnsituation, etc. beantwortet. Die Bewerbung selbst war dann relativ harmlos: Lebenslauf, ein einseitiges Motivationsschreiben und ein Empfehlungsschreiben von einem Dozenten, um das man nach Möglichkeit nicht erst einen Tag vor der Bewerbungsfrist bitten sollte. Nachdem ich dann meine Zusage Ende März 2012 bekommen hatte wurde ich auch bald mit diversen E-Mails aus Amsterdam kontaktiert und konnte mich um weitere Formalia kümmern. Besonders spannend war natürlich die Kurswahl: mir wurde nur vorgegeben, dass ich mindestens fünf Kurse zu belegen hatte und dass mindestens drei davon an der psychologischen Fakultät sein mussten. So konnte ich zum Beispiel auch den Kurs "Mind and Machines" wählen, der von der biologischen Fakultät für Studenten aller Fachrichtungen angeboten wurde und sich interdisziplinär mit Themen wie künstlicher Intelligenz und Brain-Computer-Interface beschäftigte.

Studieren an der VU

Die VU unterteilt, so wie meines Wissens die meisten niederländischen Universitäten, das fünfmonatige Semester noch einmal in drei sogenannte "periods" wobei die ersten beiden periods zwei Monate dauern (Sep-Okt und Nov-Dez) und die dritte einen Monat (Jan). Pro period belegt man dann auch nur zwei, bzw. einen Kurs, die allerdings recht intensiv sind und jeweils 6 ECTS Punkte bringen, so dass man mit den fünf Kursen problemlos auf die vorgeschriebenen 30 ECTS Punkte im Semester kommt. Dieses System hat den Vorteil, dass man am Ende nicht von fünf oder mehr Klausuren innerhalb von zwei Wochen erschlagen wird, sondern maximal zwei im gleichen Zeitraum hat.

Die Teilnehmerzahl in den Kursen schwankte zwischen acht und achtzig, je nach Thema ("Management and Oganization" war deutlich beliebter als "Molecular Genetics"). Das Niveau empfand ich als recht unterschiedlich in vielerlei Hinsicht: Ich hatte alle möglichen Kombinationen erlebt, von leichtem Stoff und leichter Prüfung über schwereren Stoff mit leichter Prüfung und leichten Stoff mit schwerer Prüfung bis hin zu richtig anspruchsvollen Sachen. Das Notensystem in den Niederlanden reicht von 0 (am schlechtesten) bis 10.0 (am besten) in 0.5er-Schritten, wobei man ab 5.5 bestanden hat. Allerdings ist die Verteilungskurve ganz anders als das Heidelberger Psychologiestudenten gewohnt sind: Eine 10.0 ist geradezu unmöglich zu erreichen und mit einer 8.5 hatte ich sogar in einem Seminar das beste Ergebnis von allen Teilnehmern. Da die Umrechnung in deutsche Noten jedoch linear erfolgt (10.01,0; 9.51,3; ... 5.54,0) entschied ich mich dagegen, mir irgendwelche Klausuren anrechnen zu lassen, da es in Heidelberg entsprechend einfacher ist, sehr gute Noten zu bekommen. Vorausschauend hatte ich schon alle Kurse aus dem fünften Semester ins dritte und vierte Semester vorgezogen, so dass ich aus dieser Richtung keinen Druck hatte.

Die Dozenten waren alle unglaublich nett und der Kontakt deutlich persönlicher als in Deutschland. Das kann natürlich auch daran liegen, dass sich die Dozenten nur für einen Teil des Semesters (eben während einer period) mit der Lehre befassen müssen und sich damit entsprechend intensiver auseinandersetzen, während sie sich in den anderen drei Monaten voll auf ihre Forschung konzentrieren können.

Wohnen

Zeitgleich zur Kurswahl half mir der Erasmus-Koordinator der VU auch bei der Wohnungssuche. Er verwies mich an das örtliche Studentenwerk, das in unmittelbarer Nähe zum Campus der Uni (ca. 10 Minuten mit dem Fahrrad) eine Art "Wohn-Campus" mit dem Namen "Uilenstede" (~Eulennest) betreibt. Dort gibt es die unterschiedlichsten Wohnmöglichkeiten: von kleinen WGs mit geteiltem Bad und Küche über Wohnheimszimmer mit eigenem Bad und Stockwerksküche bis hin zu komplett eigenen Wohnungen. Die Preise sind recht happig: ich habe für ein kleines Zimmer mit eigenem Bad und einer Stockwerks-Küche, die ich mir mit 13 anderen Studenten geteilt habe, knapp 400 Euro im Monat gezahlt. Doch billiger wird man in Amsterdam kaum etwas finden, falls man überhaupt etwas anderes findet.

Die Gebäude in Uilenstede sind alle schon etwas älter, aber im großen und ganzen in ganz gutem Zustand (es wird wohl, soweit ich das mitbekommen habe, zurzeit auch recht viel renoviert). Neben den Wohnungen gibt es dort auch eine Bar, ein Fitnessstudio, ein "Cultural Center" und einen kleinen Supermarkt (wobei es auch Filialen aller großen niederländischen Supermarktketten im Umkreis von 10 Fahrradminuten gibt). Der größte Nachteil: schon die Uni selbst ist im äußersten Stadtsüden und Uilenstede liegt sogar schon außerhalb von Amsterdam in einem Vorort (allerdings direkt hinter dem Ortsschild). Mit dem ÖPNV, der sehr gut ist, braucht man ca. 20 Minuten bis an den Rand der Innenstadt und über 30 Minuten bis zum Hauptbahnhof, mit dem Fahrrad sind die Zeiten ähnlich. Daher kommt man unter der Woche eher selten in die Stadt und hat oft nur am Wochenende Zeit für Sightseeing und Parties in der Innenstadt.

Amsterdam

Amsterdam ist zwar für eine westeuropäische Hauptstadt erstaunlich klein (ca. 750,000 Einwohner), bietet aber trotzdem alles was das Herz begehrt. Seien es Museen, in denen die wichtigsten Werke bekannter holländischer Künstler wie Rembrandt oder van Gogh ausgestellt werden, das beste Orchester der Welt das in einem der besten Konzerthäuser Europas spielt, Auftritte internationaler Stars wie Lady GaGa, die Spiele des inzwischen nicht mehr ganz so erfolgreichen Traditionsfußballvereins Ajax oder auch einfach nur jede Menge Bars, Clubs und Cafés. Eine Bootsfahrt auf den "Grachten" genannten Kanälen ist natürlich verpflichtend, ich hab mir das "Venedig des Nordens" auf diese Art viermal angeschaut.

Hauptfortbewegungsmittel ist das Fahrrad, ohne eins kommt man in den Niederlanden nicht aus. Die Stadtverwaltung hat das natürlich auch schon vor langer Zeit erkannt und die Fahrradwege sind dementsprechend gut ausgebaut.

Amsterdam wäre also geradezu das Traumziel für jeden Erasmus-Studenten, wäre da nicht das Wetter. Zumindest im Wintersemester war es die meiste Zeit einfach nur furchtbar, ab September fast nur noch kalt, verregnet und windig. Und da das "Sommer"-Semester bereits Anfang Februar beginnt, verspricht auch das ­ zumindest teilweise ­ ähnlich zu sein. Wer also für sein Auslandssemester von Sommer, Sonne und Strand träumt sollte sich nach etwas anderem umsehen. Für alle anderen ist Amsterdam das perfekte Ziel um Studium auch mal anders als nach Heidelberger Gangart kennenzulernen.

Fazit

Ich hoffe, ich konnte einen guten Überblick darüber geben, wie ein Erasmus-Semester an der VU Amsterdam aussehen kann (letztlich liegt es natürlich an jedem selbst, was er daraus macht). Falls ihr Interesse daran habt, kann ich es euch auf jeden Fall wärmstens empfehlen.