Erfahrungsbericht zum Auslandssemester 

Prag, Wintersemester 2017/2018 (Bachelor)

Zu Beginn des Auslandsemesters stand natürlich die Bewerbung. Der Aufwand für ein Erasmus-Semester hält sich einigermaßen in Grenzen und Frau Lorenz beantwortet alle Fragen, die aufkommen, sodass man sich sehr gut informiert fühlt. Nach Einreichen aller Unterlagen bekam ich dann ungefähr im März Bescheid über meinen Platz in Prag ab Oktober. Bevor es losgeht gilt es auch noch seine vorläufige Kursauswahl im Learning Agreement zusammenzustellen. Das kann mit dem SIS (dem tschechischen LSF) ein bisschen knifflig sein und man ist sich manchmal etwas unsicher, doch hier sollte man sich wirklich nicht verrückt machen, da man später sowieso alles vor Ort noch einmal wählt und dabei auch ausreichend betreut wird.

Mitte September ging es dann für mich mit dem Bus nach Prag. Flixbus bietet sehr günstige Fahrten für ca. 30 Euro an und mit der Bahn ist es um einiges umständlicher nach Prag zu gelangen, weshalb diese Möglichkeit für mich optimal war. Zunächst musste erst einmal eine passende Unterkunft gefunden werden. Die Studentenwohnheime in Prag bieten zum Großteil geteilte Zimmer an und das Studentenwohnheim, dem die Psychologiestudierenden zugeordnet werden liegt auch recht weit außerhalb, weshalb ich mich von Anfang an dazu entschieden habe ein WG-Zimmer zu suchen, sobald ich ankomme. Das ist natürlich Geschmacksache, auch das Wohnheim kann eine tolle Erfahrung sein, da dort sowohl Erasmus- als auch tschechische Studierende untergebracht sind und dort laut meinen Freunden, die dort untergekommen waren, auch viel an sozialen Aktivitäten zum Leute kennenlernen angeboten wird. Zudem ist diese Art der Unterbringung sicherlich die günstigere Variante. Ich persönlich konnte mir nur nicht vorstellen mir ein kleines Zimmer über mehrere Monate mit einer fremden Person zu teilen.

Die Zimmersuche gestaltete sich tatsächlich chaotischer und schwieriger als erwartet, da zu Beginn des Semesters natürlich alle nach einer Unterkunft suchen und man als Nicht- Tscheche zudem nur auf die englischen Anzeigen zurückgreifen kann, die meist etwas teurer sind. Mir war es außerdem wichtig einigermaßen zentral zu wohnen, um möglichst viel vom Prager Stadtleben direkt vor der Haustür zu haben. Glücklicherweise konnte ich in diesen ersten 10 Tagen der Suche bei einer Freundin unterkommen, die bereits ein WG- Zimmer in Deutschland gefunden hatte. Man kann also durchaus auch Glück haben und schon von Zuhause aus fündig werden. Man sollte nur vorsichtig sein und sichergehen, dass das Zimmer auch wirklich existiert, damit man nicht unschön enttäuscht wird und sein Geld verliert.

Gesucht habe ich hauptsächlich über einschlägige Facebook-Seiten wie beispielsweise "Flatshare in Prague", nach kurzer Recherche hat man schnell die bekanntesten und größten Gruppen gefunden. Hier gilt es dann schnell zu sein und sofort auf Angebote zu reagieren. Die Geduld eine zentrale Unterkunft zu finden hat sich bei mir ausgezahlt, denn ich habe letztendlich ein WG-Zimmer in Top-Lage in einem wunderschönen Altbau ergattern können. Meine Mitbewohner kannte ich zunächst nicht, was sich jedoch nicht als Problem herausstellte. Man muss jedoch bedenken, dass zentrale Zimmer in Prag wie auch in Heidelberg begehrter und deswegen etwas teurer sind. Wer sich damit anfreunden kann etwas weiter außerhalb zu leben, kann im Vergleich zu Heidelberg auch ein deutlich günstigeres Zimmer finden. Ich habe es sehr genossen zum psychologischen Institut in der Altstadt laufen zu können und der etwas höhere Preis war es mir für einige Monate auf jeden Fall wert.

Das psychologische Institut der Karlsuniversität liegt ganz malerisch mitten in der Altstadt, ich hatte jedoch auch einen Kurs im Gebäude der Faculty of Arts, das auch recht zentral liegt und einen am Institut für Sportwissenschaften etwas außerhalb. Die Vorlesungen in Psychologie sind alle auf Tschechisch, weshalb meine Kurse eigentlich alle im Stil von Seminaren im kleinen Kreis gehalten wurden. Das fand ich sehr angenehm, da man Dozenten wie auch Studierende schnell kannte und die Atmosphäre sehr familiär war. Das englische Kursangebot in Prag in Psychologie ist nicht riesig, jedoch ausreichend, um sich einen abwechslungsreichen Stundenplan zusammenzustellen. Außerdem gibt es die Möglichkeit auch tschechische Kurse oder Vorlesungen zu belegen, in denen man dann mit dem Dozenten einen Plan zum Selbststudium herausarbeitet und mit einer Hausarbeit abschließt.

Ich habe 6 Kurse besucht: "Perinatal Psychology", "Sport Psychology", "EEG signals and its psychological correlates", "Development of Self Efficacy", "Person-centered approach to psychotherapy" und "Intercultural Training". Mir haben besonders "Perinatal Psychology" (mit Fokus auf die Psyche der schwangeren Frau) und "Development of Self-Efficacy" gefallen, da beide überblicksartig gute Einblicke in die jeweilige Thematik geboten haben. Der EEG-Kurs war eine interessante Auffrischung von bereits Bekanntem aus Biopsychologie und Differentielle Psychologie 2. Sehr durchwachsen fand ich den Kurs "Person-centered approach to psychotherapy". Gut fand ich, dass er sehr praxisorientiert war, bisweilen hatte ich jedoch das Gefühl, dass er nicht ausreichend geplant war und man deswegen teils den Eindruck hatte sehr viel Zeit einzusetzen und nicht ganz so viel aus dem Kurs mitzunehmen. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass sich die Qualität in den folgenden Semestern durch die von den Studierenden geäußerte Kritik noch verbessert. Das "Intercultural Training" war kein Psychologie-, sondern eher ein interdisziplinärer Kurs, an dem auch einige Tschechen teilgenommen haben. Es ging hauptsächlich um die Sensibilisierung für und die Wahrnehmung von kulturellen Unterschieden und ich habe das Thema als willkommene Abwechslung gesehen. Da man häufig nur gemeinsam mit anderen Erasmus- Studierenden Kurse besucht ist es auch eine gute Chance in Kontakt mit Tschechen zu kommen.

Nebenbei habe ich semesterbegleitend einen Tschechisch-Sprachkurs belegt, den ich nur jedem ans Herz legen kann, der längere Zeit in Prag verbringt. Unsere Lehrerrinnen waren total motiviert und lieb und ich habe wirklich viel daraus mitnehmen können. Kleine Erfolgserlebnisse wie einkaufen oder Essen bestellen auf Tschechisch motivieren einen weiter dabei zu bleiben. Frei sprechen kann ich jedoch trotz Kurs in Deutschland am Sprachlabor und dem Anfängerkurs in Prag nicht, da Tschechisch einfach eine große Herausforderung für Deutsche ist, vor allem was die Aussprache betrifft. Spaß gemacht hat es trotzdem und es ist schön, wenn man vereinzelt Dinge verstehen oder lesen kann. Ich habe zusätzlich noch das Kursangebot ECES genutzt, das eigentlich hauptsächlich auf amerikanische Studierende ausgerichtet ist, man kann jedoch auch als Erasmus-Student teilnehmen, sofern man einen Platz ergattert. Die Kurse sind ein wenig arbeitsintensiver, mein Kurs "Insights into Social Psychology: Soft Skills" war jedoch sehr abwechslungsreich und praxisnah gestaltet, sodass ich gerne zu den Sitzungen gegangen bin. Auch den Kontakt zu den amerikanischen Studierenden fand ich gewinnbringend.

Die Benotung lief in jedem Kurs anders, gängige Formate sind häufig eine Präsentation im Seminar halten und zusätzlich entweder eine kleine Hausarbeit oder Klausur schreiben (bei Perinatal Psychology aber zum Beispiel auch alle 3). Insgesamt würde ich den Arbeitsaufwand für eine gute Note im Vergleich zum Studium in Heidelberg als geringer bewerten, wobei man viele kleinere "Assignments" während des Semesters hat. Das fand ich im Vergleich zum Klausurenstress am Ende des Semesters jedoch deutlich angenehmer, vor allem weil man so auch fortwährend gedanklich in die Themen involviert war. Je nachdem welche Kurse man gewählt hat kann das Semester auch sehr schnell vorbei sein, ich war beispielsweise schon Anfang Januar mit allen Klausuren durch und konnte so noch einige Wochen völlig frei Prag erkunden.

Die Anrechnung zurück in Deutschland lief deutlich problemloser ab als erwartet. Ursprünglich habe ich nicht damit gerechnet, mir irgendetwas anrechnen lassen zu können, im Endeffekt war es jedoch möglich mir 4 Kurse anrechnen zu lassen. In Prag werden häufig 3 ECTS für Kurse vergeben, die hier mit 4 ECTS vergütet werden, doch solang man nachweisen kann, dass die Semesterwochenstunden und der Arbeitsaufwand vergleichbar ist, kann man sich die Kurse eben trotzdem anrechnen lassen.

Das Leben in Prag ist abwechslungsreich und ganz anders als in Heidelberg. Für mich war es wichtig, mein Erasmus-Semester in einer Großstadt zu verbringen und ich wurde nicht enttäuscht. Es gibt super viel zu entdecken und zu unternehmen und ich habe es geliebt, wieviel immer los war und dass man stets neue Ecken kennenlernen konnte. Es wurde einfach nie langweilig. Trotz dem ganzen Trubel und den vielen Unterschieden kann man jedoch auch einige Parallelen zu Heidelberg ausmachen, wie auch am Neckar kann man wunderschön an der Moldau entlang spazieren und die Altstadt ist ähnlich schön anzusehen wie die Heidelberger Altstadt mit ihren kleinen Gässchen. Heimweh hatte ich jedenfalls nie.

Die Prager Altstadt ist wie gesagt total schön und ansehnlich, man sollte jedoch bedenken dass es (ähnlich wie in Heidelberg) am Wochenende von Touristen nur so wimmelt. Am Anfang habe ich eine der Free Walking Tours besucht, die ich jedem nur empfehlen kann, um die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu Beginn zu erkunden und einen ersten Eindruck zu bekommen. Doch vor allem auch abwärts der Touristenströme bietet Prag allerlei schöne Ecken, ich bin gerne einfach so losgelaufen und habe die Umgebung zu Fuß erkundet. Wer nicht so gerne läuft kann natürlich auch auf Straßenbahn oder Metro zurückgreifen, die einen günstig und zuverlässig an jeden Punkt der Stadt bringen. Besonders ans Herz gewachsen ist mir Prag 7 mit seinen vielen kleinen Second-Hand- Shops, Boutiquen und Cafés. Aber auch die Gegend um Namesti Miru und die Viertel Karlín und Vinohrady haben es mir angetan.

Auch kulturell hat Prag einiges zu bieten. Wer sich für Kunst interessiert, wird sich im Dox sehr wohlfühlen (Zentrum für zeitgenössische Kunst mit wechselnden Ausstellungen), auch im Karolinum gibt es interessante wechselnde Ausstellungen, doch es gibt etliche große wie auch kleine Museen, in denen man sich die Zeit gut vertreiben kann. Sehr empfehlen kann ich auch einen Besuch im National-Theater, das einfach wunderschön prunkvoll gestaltet ist und ein vielseitiges Programm, teils auch englisch oder mit Untertiteln, bietet. Manchmal gibt es auch Angebote der Uni, sodass man tatsächlich für 3 oder 4 Euro ein Ticket ergattern kann.

Wer Entspannung im Grünen sucht findet diese in einem von Prags zahlreichen Parks, die ich besonders gern am Anfang des Semesters bei lauen Temperaturen besucht habe. Eine besonders schöne Aussicht auf die Moldau und die vielen Brücken bietet sich vom Petrin Hill, den man wahlweise zu Fuß oder mit einer Bergbahn erklimmen kann.

Was ich besonders genossen habe ist die unglaubliche Auswahl an Restaurants und Cafes, die es zu entdecken galt. Zudem ist auswärts essen und auch trinken in Prag deutlich günstiger als in Deutschland. Auch das Nachtleben bietet viel Auswahl, sodass sicher jeder etwas nach seinem Geschmack findet.

Als kleine kulinarische Geheimtipps:

  • Hillibilly Burger für den besten Burger der Stadt
  • Bistro 8 für den besten Kaffee und Chai Latte und außerdem die besten Mittagsmenüs :)
  • Oh Deer Bakery für kalorienreiche gefüllte Cronuts
  • Coffee Room für das beste Frühstück und kuschlige Kaffee-Plaudereien
  • Cafe Savoy zum schick frühstücken mit den Eltern
  • Sansho oder Eska für ein schickes aber noch erschwingliches 6 Gänge-Überraschungsmenü
  • Kolkovna Olympia für leckeres tschechisches Essen abseits von der Touristen-Abzocke
  • Cafedu zum Lernen und gleichzeitig Kaffee trinken (ist extra ein "Lern-Cafe)
  • Soma Bar für die Bier-Happyhour von 5-6

Was meiner Meinung nach noch wirklich sehenswert ist, ist ein Eishockey-Match im Stadion. Tickets sind rech erschwinglich und die Tschechen sind ähnlich begeistert von Eishockey wie wir von Fußball. Die Atmosphäre ist einmalig und auch wenn ich von diesem Sport anfangs nur wenig bis keine Ahnung hatte war es ein tolles Erlebnis. Wer selbst Lust hat im Winter mal Schlittschuh zu laufen kann das auch an vielen verschiedenen Orten tun. Nur von der Eislaufbahn am Weihnachtsmarkt würde ich abraten, da diese total klein und meist auch überfüllt ist. Der Weihnachtsmarkt an sich ist aber natürlich einen Besuch wert, obwohl ich sagen muss, dass deutsche Weihnachtsmärkte mir trotzdem besser gefallen.

Abschließend kann ich sagen, dass Prag für mich einfach die perfekte Wahl für mein Erasmus-Semester war und rückblickend die Zeit viel zu schnell verstrichen ist. Die Erfahrung in einer neuen Stadt komplett neu anzufangen und sie in kurzer Zeit so sehr lieben zu lernen ist unbezahlbar und ich habe neben sehr vielen lockeren Bekanntschaften auch eine Handvoll wirklich besonderer Menschen kennengelernt, mit denen ich auch jetzt noch in engem Kontakt stehe. Prag ist zudem nicht sonderlich weit entfernt, sodass man bei "Heimweh" auch mal schnell ein verlängertes Wochenende dort verbringen kann :)