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Diplom 2004 - Rede

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Von Monika Knapp-Rudolph und Grit RamuschkatLesezeit: 11 Minuten

Rede der AbsolventInnen auf der 6. Diplomfeier am 17.12.2004 am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg

von Monika Knapp-Rudolph und Grit Ramuschkat

 

Liebe Eltern, Partner, Kinder, Geschwister, Freunde, Bekannte, Dozenten, Mitarbeiter des Instituts, Liebe EX-Kommilitonen, Studienfreunde und zukünftige Kollegen!

Sehr gut könnte ich mir vorstellen, viel lieber unter Euch zu sitzen und einem netten Studienkollegen oder Kollegin zuzuhören - da ich überwiegend im Studium das Zuhören geübt habe und jetzt wirklich sicher bin, dass ich es kann, halte mich heute Abend ausnahmsweise an das Motto nach Wilhelm Busch: „Das Reden tut dem Menschen gut; Wenn man es nämlich selber tut!" In diesem Sinne: Seid alle herzlich willkommen zu diesem UNSEREN besonderen Tag, der einen gemeinsamen feierlichen Ausklang einer doch intensiven und bewegten Lebensphase bilden soll.

Jeder von uns frischgebackenen Psychologen fand über seinen individuellen Weg hierher ins schöne Heidelberg zu seinem Psychologiestudium: Die jüngeren Kommilitonen unter uns, weil sie vielleicht schon in Praktikas, über Bekannte / Verwandte oder Literatur Zugang gefunden haben. Ältere unter uns, weil sie gewöhnlich schon länger mit dem Gedanken an ein Psychologie-Studium „schwanger“ gingen, womöglich angeregt durch bisherige berufliche / private Erfahrungen.

Sich mehr oder minder bewusst dessen, was uns denn nun eigentlich von den „Psychos“ hier erwartete, begannen wir unseren abenteuerlichen Weg durch eine allseits beliebte/populärwissenschaftlich oft gefürchtete Geisteswissenschaft. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich zum ersten Mal hier vor unserem Institut vor der Bunsen-Statue stehend so bei mir dachte: Mensch, der Sigmund Freud ist doch größer, als Du dachtest! Leichtfertigere und naivere Studentenmenschen unter uns (sofern es welche gab) durften schnell erkennen, dass die Psychologie dazu neigt, ihr Veto zu wissenschaftlichen Fragestellungen durch „harte methodische Beweise“ und „strenge theoretische Ableitungen“ zu erkämpfen.

Schnell fand ich mich unter vielen anderen von uns, aufgeregt und stolz, durch die ersten hektischen - doch gut organisierten ERSTIS-Tage gut vorbereitet - mit einem UNMÖGLICH zu schaffenden Stundenplan mitten im ersten Semester, das vor allem eine statistische Prägung bei mir hinterließ. Viele von uns saßen, dann mit erheblich abgespecktem Curriculum !, 3 -4 Wochen später - überwältigt von sich stets wild vermehrendem Fachvokabular - in den Statistik-Vorlesungen, deren Aufträge zu deskriptiven Darstellungen und Berechnungen von Inferenzen nicht selten zu kognitiven INTERFERENZEN bei manch einem von uns führten!

Die (NORMAL-) Verteilung unserer Aufmerksamkeit gehörte zum damaligen Moment den Maßen der Zentralen Tendenz und Dispersion, den Herren Galton und Bernoulli, homo- und isomorphen Eigenschaften als „Kinder“ der Messtheorie. Schnell begriffen wir die Neigung der Psychologen zur Intervallskalierung und deren bevorzugte Beurteilung mit einem MILDE-Effekt. Doch noch längst hatten wir unser statistisches Maximum Liklihood nicht gefunden, denn da war noch die Matrizenrechnung, die uns neue Herausforderungen im Allgemeinen Linearen Modell stellte - in einer Testwelt von Hypothesen konnten wir z.B. feststellen, dass i.d.R. die Varianzanalyse mit dem F-Test verheiratet ist!

Mit einer ganz anderen Art von Bindungsforschung beschäftigten wir uns mit Hilfe von Theorien und Experimenten der Entwicklungspsychologie, die uns mit Namen wie Bowlby & Ainsworth, Piaget & Erikson bekannt machte. Wir erfuhren, dass wir zum damaligen Studienzeitpunkt bereits das Stadium der sensumotorischen Phase unbedingt verlassen haben sollten.

Und apropos Verlassen: wann und warum verlässt man den sicheren Platz des Gehsteigs, wenn man es eilig hat, die Straße zu überqueren und die Ampel aber rot ist? Eine Frage, die uns im Rahmen der Sozialpsychologie zu normativem und informativem Druck erklärt wurde und mit der Informationseinholung über das Verhalten unserer Mitmenschen zu tun hat.

Des Rätsels Lösung, wie die Information oder zum Beispiel auch Emotionen letztendlich über synaptische Verbindungen mit Hilfe von Neurotransmittermolekülen verarbeitet werden können, eröffneten uns die Annahmen der Biopsychologie. Einige von uns schienen schon fast per Du mit jeder einzelnen Synapse zu sein, da oft in den Bio-Leistungskursen auf den Gymnasien schon akribische Vorarbeit dazu geleistet wurde. Leider hatte die Biopsychologie in unserem Studium einen eher verwaisten Status. Sie formt aber gerade auch in neueren Ansätzen der Kognitions-Neurowissenschaften interessante Arbeitsfelder.

Ein Bereich, der zum Glück zumindest teilweise in einem anderen, sehr spannenden psychologischen Feld wieder aufgegriffen wird: der Allgemeinen Psychologie. „Laufe ich weg, weil ich Angst habe, wenn ich einen Bären sehe? Oder bekomme ich Angst, wenn ich vor dem Bären weglaufe?“ Am günstigsten ist aber auf jeden Fall: ICH mache dem Bären Angst - und er läuft weg!“

Die Allgemeine half uns, nicht nur Emotionen, Motivationen und Lern- oder Gedächtnisvorgänge theoretisch zu verstehen, sondern auch knifflige Sinnestäuschungen auf den Grund zu gehen. Endlich begriffen wir, warum es besonders sinnvoll ist für Kinder, im Moment der größten Bedrängnis an der Supermarktkasse nach Süßigkeiten zu schreien und dieses Verhalten brav durch eine gelegentliche Verstärkung durch die Mutter aufrechterhalten und keineswegs verlernt wird und das Kind der Mutter eine Nase dreht!

Da fällt mir ein: Nicht von ungefähr spricht man von der „Charakternase, die bei jedem von uns verschieden ist.“ Diesem Sachverhalt zollte denn die Differentielle Psychologie ihren Tribut. Kritisch hörten wir die Forschungsergebnisse von Herrnstein & Murray zur Erblichkeit von Intelligenz, und fragten uns bei der folgenden Vordiplomsphase, ob wir nun Melancholiker, Phlegmatiker oder Choleriker seien?

Jenseits des Rubikons, endlich nach erfolgreichem Vordiplom im Hauptstudium angekommen, konkretisierten sich peu à peu für den einen oder anderen von uns zukünftige Qualifizierungswünsche - und endlich, endlich spürte man hier und dort, besonders natürlich in Praktikas, festen „Praktischen Boden“ unter den Füßen.

Im großen und ganzen teilten sich hier die Drei „Königsdisziplinen“: Klinische Psychologie, Pädagogische Psychologie und Arbeits-/Organisationspsychologie die Ausbildung.

Innerhalb des Bereiches der Klinischen Psychologie beschlich den einen oder anderen von uns klammheimlich wohl beim Durcharbeiten der Klinischen Störungsbilder der Verdacht, die eine oder andere typische Verhaltensweise doch ganz persönlich zu kennen... und dann schnell im DSM IV (oder lieber dem ICD-10?) mal nachzuschauen, wie man denn nun zu klassifizieren sei. Der eine oder andere von uns lernte vielleicht die Macht der narzistischen Züge kennen, die allmächtig schnell doch auch mal einflüsterte, den uns doch nichtsahnenden Verwandten/Bekannten zu klassifizieren.

„Nichtsahnend“ waren denn auch wir, als das Arbeits- und Organisationspsychologie-Vokabular auf uns traf: Aufgaben- und Anforderungsanalysen zur Kompetenzmessung, Sinn und Sinnhaftigkeit, S-R/Tätigkeits-und Handlungs/Regulationstheorie: bei einigen von uns drehte sich nicht nur Führungskräfte- und Mitarbeiter-Feedback - um 360 Grad...

Feedback zu unseren Lernstrategien / Wissenserwerb / logischen Verknüpfungen konnten wir uns endlich aus den Befunden der Pädagogischen Psychologie holen - doch für unsere eigenen Prüfungsvorbereitungen, ach Du Schreck, blieb uns doch oft die Spucke weg: „Vorzüglich Theoretisieren - fiel nicht schwer, praktisch Umsetzen dagegen sehr!“ Konstruktivistisch und multimedial sollten vor allem die Lehrmethoden sein, - Multimedia...da fällt mir was ein....

Als ich kürzlich gefragt wurde, ob ich denn bereit sei, im Namen unserer Kohorte eine kleine Rede zu halten, überlegte ich zunächst, ob ich denn - in den Worten unserer Methodenlehre - überhaupt als ERWARTUNGSTREUER SCHÄTZER unserer Kohorte durchginge. So denke ich, nutzen wir den Vorteil medialer Gestaltkraft, um einen möglichen Bias/Fehler möglichst klein zu halten und erhöhen N auf N=2 Redner.

Ich freue mich, dass eine junge, bemerkens- und liebenswerte Persönlichkeit aus unserer Kohorte, einen Weg gefunden hat, ihrerseits einige Gedanken über unsere gemeinsame Studienzeit an uns weiterzugeben.... Leider kann sie heute aufgrund mutiger beruflicher Überlegungen und erfreulicher privater Veränderungen physisch nicht bei uns sein. Aus Albuquerque grüßt uns Grit Ramuschkat, die, als sie ihren Teil der Rede verfasst hat, gerade mit einem Bein auf amerikanischem Boden stand, und bei der ich mich trotz der „schwierigen organisatorischen Umstände“ ganz herzlich bedanken möchte.... Schauen wir mal, welche Gedanken uns Grit heute Abend senden möchte...

 

 

[Movie-File der Rede von Grit Ramuschkat (Achtung: 28.5 MB, benötigt QuickTime): diplom_rede_2004.mov]

Grits Sack voll Wünschen möchte ich mich anschließen: Würde mich z.B. ein Weihnachtsengel fragen, sag Moni, was würdest Du Dir denn nun für die „Psychologen-Zukunft“ wünschen?

Für die Dozenten: Die Kraft und die Motivation, Vorbild in fachlicher und menschlicher Größe für die heranwachsenden Psychologen sein zu wollen...

Für die Studenten: Die guten Erfahrungen aufgreifend, die ich persönlich in der gegenseitigen Unterstützung erfahren habe: Studis helft Euch weiterhin untereinander, l'unité fait la force... Setzt Euch gemeinsam für Ziele ein - nicht nur Prüfungszeit - (zeigt die Unmöglichkeit, Elité zu fordern, wenn schon Basis-Literatur gekürzt wird).

Für die Praktiker unter uns: Hütet Euch, einen Zauberberg aus dem Diplom zu machen, mit der gefährlichen Annahme, sich ein Leben lang darauf ohne Weiterbildung ausruhen zu können..., vergesst nicht die theoretischen Grundlagen als Handwerkszeug.

Für die Wissenschaftler unter uns: Seid aufmerksam, dass euere Arbeit nicht zum reinen Glasperlenspiel/zur Verkünstelung wird - sucht doch ab und zu nach Brückenschlägen zur Praxis!

Für die „Privaten unter uns, die wir alle sind“: Seid vorsichtig bei zuviel analytischer Erklärung der eigenen Lebensträume: Denn wie sprach´s Zettel im Sommernachtstraum: „Der Mensch, der hergeht und diesen Traum zerklären will, der ist einfach ein Esel!“

Für alle: Scheut Euch nicht, aufeinander zuzugehen, leidenschaftlich zu diskutieren, auch unter der Einbeziehung aktueller Themen!

Mein Wunsch: lasst unser Verhalten, den Umgang mit unseren Mitmenschen und mit uns selbst unsere Visitenkarte sein!

Und zu guter letzt: Ich freue mich und empfinde es als Ehre heute hier im Namen unserer Kohorte all denjenigen danken zu können, die uns besonders während den heiklen Stunden unterstützt haben; all den helfenden Ratschlägen und liebenswerten, tröstenden Worten hier im alltäglichen Arbeitsgetummel; all denjenigen zu danken, die an den „Psychologen“ in uns geglaubt haben, die uns Mut machten, durchzuhalten, nicht aufzugeben; die uns ertragen haben, hysterische Ausbrüche während der Diplom-Arbeitszeit abschwächen konnten, sich 100mal unsere Prüfungsthemen wie Multiple Regressionen, Magersucht, Adipositas, Cronbachs & Betagewichte usw. als Prüfungsthemen geduldig anhörten, bis sie schließlich selbst so weit waren, um für uns in die Prüfung hätten gehen können; sich mit uns ein Jahr lang von Tiefkühlpizzas ernährten, uns vor körperlicher und wohnungsbezogener Verwahrlosung retteten; und uns zeigten, dass es noch ein „sonniges“, aktives Leben außerhalb der Prüfungszeit in der wissenschaftlichen Kaderschmiede gibt! Euch allen möchte ich im Namen unserer Studienkohorte an dieser Stelle DANKEN!

Weihnachten steht für Ankunft - auch wir sind endlich an einem Lebensziel angekommen - feiern Sie diese Ankunft mit uns!

Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen Abend! Vielen Dank.


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