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Laudatio zum Franz E. Weinert-Gedächtnispreis 2013

« Zurück zum Jahrgang Diplom 2013 Über den Franz E. Weinert-Gedächtnispreis
Von Dirk Hagemann Lesezeit: 4 Minuten

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

am Heidelberger Psychologischen Institut besteht der schöne Brauch, alljährlich die beste Diplomarbeit eines Jahrgangs mit einem Preis auszuzeichnen. Dieser Preis ist benannt nach Franz Emanuel Weinert, der von 1968 bis 1981 hier am Psychologischen Institut Ordinarius für Entwicklungspsychologie und Pädagogischer Psychologie gewesen ist.

Die Auswahlkommission sucht für diesen Preis Diplom- oder Masterarbeiten, die durch ihre theoretische und methodische Stringenz überzeugen und die ein substantielles Forschungsergebnis beschreiben. Dieser Kommission gehörten in diesem Jahr meine Kollegen Elisabeth Arens und Oliver Schilling an, ich selber habe den Vorsitz geführt. Sechs Arbeiten wurden in diesem Jahr nominiert. Darunter befanden sich einige Arbeiten, die wirklich hervorragend waren, so dass die Kommission dieses Jahr eine besonders schwierige Aufgabe hatte. Schließlich konnte die Kommission sich auf eine Arbeit verständigen, die den Kriterien einer preiswürdigen Arbeit im besonderen Maße entsprochen hat.

Mit dem diesjährigen Weinert-Preis wird die Masterarbeit mit folgendem Titel ausgezeichnet: „Subjective well-being in very old age—the role of age, need fulfillment, and self acceptance“. Der Autor dieser Arbeit heißt Andreas Neubauer. Andreas, herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis!

Wie der Titel der Arbeit bereits aussagt, untersucht die Arbeit die Entwicklung des subjektiven Wohlbefindens im hohen Lebensalter. Dabei versteht die Psychologie unter subjektivem Wohlbefinden eine Mischung aus hoher Lebenszufriedenheit, ausgeprägtem Positiven Affekt und geringem Negativen Affekt. Dabei wird in der Psychologie davon ausgegangen, dass das subjektive Wohlbefinden sich im Laufe des Lebens paradoxerweise nicht verringert, obwohl mit zunehmendem Lebensalter immer größere Verlusterfahrungen gemacht werden. Diese Annahme wurde erst in den letzten Jahren durch empirische Daten in Frage gestellt. Aus neuesten Studien ist bekannt, dass die Lebenszufriedenheit sowie der Positive Affekt über das Erwachsenenalter hinweg zwar einigermaßen stabil bleiben, aber ab einem Alter von etwa 60-75 Jahren abnehmen. Der Negative Affekt hingegen nimmt über das Erwachsenenalter hinweg beständig ab, bleibt aber ab einem Alter von 60-75 Jahren stabil. Unbekannt ist hingegen, wie diese Entwicklungsverläufe im höheren Lebensalter weitergehen und welche Faktoren die individuelle Entwicklung in diesem Lebensalter beeinflussen können.

Welche Einflussfaktoren kommen hier in Frage? Die von Deci und Ryan entwickelte Self-Determination Theory postuliert, dass das subjektive Wohlbefinden von der Erfüllung bestimmter grundlegender Bedürfnisse abhängt, nämlich einem Kompetenzbedürfnis, einem Autonomiebedürfnis und einem Beziehungsbedürfnis. In dem Maße, wie die Befriedigung dieser Bedürfnisse misslingt, sollte sich das subjektive Wohlbefinden verschlechtern. in dem von Erik Erikson entwickelten Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung wird hingegen postuliert, dass die Selbstakzeptanz am Ende des Lebens eine entscheidende Rolle für das psychische Funktionieren spielt. Gelingt die Selbstakzeptanz nicht, sollte sich das subjektive Wohlbefinden ebenfalls verschlechtern.

Um den Entwicklungsverlauf des subjektiven Wohlbefindens sowie die postulierten Einflussfaktoren zu untersuchen, hat Herr Neubauer Daten aus einer Längsschnittstudie ausgewertet, deren Teilnehmer zu Studienbeginn zwischen 87 und 97 Jahren alt waren und die ca. 4 Jahre lang regelmäßig untersucht wurden. Dabei ergab sich der folgende Befund:

Erstens hat sich—gemäß den Erwartungen—der Positive Affekt der Studienteilnehmer über den Beobachtungszeitraum reduziert. Überraschender Weise blieben jedoch die Lebenszufriedenheit und der Negative Affekt stabil. Zweitens zeigte sich erwartungsgemäß ein positiver Zusammenhang zwischen der Befriedigung des Kompetenzbedürfnisses und der subjektiven Lebenszufriedenheit. Entgegengesetzt zu den Erwartungen erwiesen sich jedoch die anderen untersuchten Bedürfnisse als bedeutungslos. Drittens zeigte sich erwartungsgemäß ein positiver Zusammenhang zwischen einer gelungenen Selbstakzeptanz und dem subjektiven Wohlbefinden. Zusammenfassend erweist sich das subjektive Wohlbefinden im höchsten Lebensalter also als relativ stabil—trotz aller Verluste, die Menschen in der letzten Phase ihres Lebens erleiden. Dabei spielen die von der Self-Determination Theory als essentiell postulierten Bedürfnisse eine nur untergeordnete Rolle, während die Selbstakzeptanz eine wichtige Funktion für das subjektive Wohlbefinden hat—ganz so, wie Erik Erikson das vor vielen Jahrzehnten bereits postuliert hat.

Die Arbeit von Herrn Neubauer weist drei hervorstechende Merkmale auf. Erstens beeindruckt die Arbeit mit einer ungewöhnlichen psychologisch-theoretischen Tiefe, mit der die relevanten Konstrukte eingeführt und durch etablierte Theorien miteinander verknüpft werden. Besonders die Diskussion der Befunde ist dabei bemerkenswert, da hier eigene Forschungsergebnisse geschickt mit den Daten anderer Autoren verknüpft werden und so eine substantielle Argumentation aufgebaut wird, mit der besonders die Self-Determination Theory einer kritischen Prüfung unterzogen wird. Zweitens besticht die Arbeit durch eine elaborierte statistische Methodik. Herr Neubauer verwendet Hierarchische Lineare Modelle nicht nur als schablonenhafte Werkzeug der Datenanalyse, sondern er nützt diese Modelle explizit zur Formalisierung psychologischer Sachverhalte. Drittens ist diese Arbeit trotz ihrer theoretischen Tiefe und methodischen Finesse in einer einfachen und leicht lesbaren Sprache abgefasst, die die Lektüre geradezu zu einem Vergnügen macht. Zusammengenommen haben diese Merkmale der eingereichten Arbeit die Kommission überzeugt.

Herr Neubauer, ich übergebe Ihnen nun die Urkunde.