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Laudatio zum Franz E. Weinert-Gedächtnispreis 2012

« Zurück zum Jahrgang Master 2012 Über den Franz E. Weinert-Gedächtnispreis
Von Dirk Hagemann Lesezeit: 3 Minuten

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

am Heidelberger Psychologischen Institut besteht der schöne Brauch, alljährlich die beste Diplomarbeit eines Jahrgangs mit einem Preis auszuzeichnen. Dieser Preis ist benannt nach Franz Emanuel Weinert, der von 1968 bis 1981 hier am Psychologischen Institut Ordinarius für Entwicklungspsychologie und Pädagogischer Psychologie gewesen ist.

Die Auswahlkommission sucht für diesen Preis Arbeiten, die durch ihre theoretische und methodische Stringenz überzeugen und die ein substantielles Forschungsergebnis beschreiben. Dieser Kommission gehörten in diesem Jahr meine Kollegen Mandy Hütter und Oliver Schilling an, ich selber habe den Vorsitz geführt. Fünf Arbeiten wurden in diesem Jahr nominiert. Eine dieser Arbeiten hat den Kriterien einer preiswürdigen Arbeit besonders gut entsprochen und wurde für die diesjährige Preisverleihung ausgewählt.

Die Preisträgerin heißt Alina Bindewald, und ihre theoretische Diplomarbeit trägt den Titel „Die Rolle des Spiegelneuronensystems beim Handlungs- und Intentionsverständnis“. Frau Bindewald, herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis!

Wie der Titel der Arbeit bereits aussagt, untersucht die Arbeit, ob die Untersuchung von sogenannten Spiegelneuronen nützlich für ein besseres Verständnis von Handlungen ist. Spiegelneuronen sind Nervenzellen der Großhirnrinde, die 1995 von Giacomo Rizzolatti in Tierversuchen entdeckt wurden. Diese Nervenzellen befinden sich u.A. in prämotorisch Arealen und werden aktiv, wenn das Versuchstier ein bestimmtes Verhalten ausführt oder wenn das Tier ein solches Verhalten bei einem anderen Tier beobachtet. Wenn also ein Beobachter sieht, wie ein Akteur ein bestimmtes Verhalten ausführt, so generiert dies im Beobachter eine ähnliche neuronale Aktivität wie im Akteur. Das Gehirn des Beobachters simuliert gewissermaßen die Aktivität des Gehirns des Akteurs. Diese neurale Simulation soll nun einigen Forschern zufolge den Beobachter in die Lage versetzten, die Handlungen des Akteurs besser verstehen zu können—quasi durch Introspektion der eigenen Gedanken und Gefühle, die mit der Aktivierung dieser Spiegelneuronen im Beobachter assoziiert sind.

An dieser Stelle setzt die Kritik nun von Frau Bindewald ein. Durch eine sorgfältige Analyse der Begriffe und Argumente kann sie nachweisen, dass die gezogenen Schlussfolgerungen nicht zwingend sind, genauer: dass eine Aktivierung von Spiegelneuronen keine hinreichende Bedingung eines Handlungsverständnisses beim Beobachter sein kann. Wenn Sie mir gestatten, rekonstruiere ich die Argumentation von Frau Bindewald folgendermaßen: Eine Handlung lässt sich von einem Verhalten dadurch abgrenzen, dass die Handlung zwingend eine Intention aufweist und das Verhalten eben nicht. Vereinfacht ausgedrückt: Zu einem Verhaltensakt muss noch eine Intention treten, damit wir von einer Handlung sprechen können. Nun kann ein bestimmter Verhaltensakt mit unterschiedlichen Intentionen verbunden sein: Ich kann nach einem Glas greifen und den Inhalt trinken, weil ich meinen Durst löschen möchte. Oder weil ich ein lebenswichtiges Medikament zu mir nehme. Oder weil ich meinem Leben ein Ende setzten möchte. Der beobachtbare Verhaltensakt bleibt stets derselbe, die Handlungen unterscheiden sich aber fundamental. Da das Spiegelneuronensystem nur den beobachtbaren Verhaltensakt kodieren kann, bleiben ihm die Intentionen verborgen. Ohne Kenntnis der Intentionen kann es aber auch kein Handlungsverständnis geben. Deshalb ist eine bloße Aktivierung des Spiegelneuronensystems eben keine Hinreichende Bedingung für ein Handlungsverständnis.

Die Arbeit von Frau Bindewald besticht durch Gründlichkeit und Argumentationstiefe und lädt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit reduktionistischen Positionen der Neurowissenschaften ein. Dies hat den Ausschlag gegeben, ihr heute diesen Preis zu verleihen.

Frau Bindewald, ich übergebe Ihnen nun die Urkunde.